Im Jahr kommt es in Österreich durchschnittlich zu rund 500 verletzten Kindern nach rund 450 Unfällen am Schulweg. Welche "versteckten" Risiken gibt es, wie können wir gemeinsam für mehr Sicherheit sorgen?
Am 2. September läuten laut NÖN-Bericht für mehr als 200.000 Kinder und Jugendliche in Niederösterreich nach neun Wochen Sommerpause wieder die Schulglocken. Experten raten daher: „Jetzt den Schulweg trainieren!“
Besonders für Taferlklassler ist es wichtig, den Schulweg rechtzeitig zu üben. Doch auch ältere Kinder sollten sich nach den vielen Wochen Ferien gemeinsam mit ihren Eltern den Weg zur Schule wieder in Erinnerung rufen Es braucht sechs bis zehn Wiederholungen, bis die jungen Verkehrsteilnehmer sicher unterwegs sind.
Wie wichtig das Training ist, zeigt die Unfallstatistik: 2023 gab es österreichweit 450 Unfälle mit 494 verletzten Schulkindern im Alter von 6 bis 15 Jahren auf Schulwegen. In Niederösterreich waren es 65 Unfälle mit insgesamt 71 verletzten Kindern. Das waren um 8,3 Prozent mehr Unfälle als 2022! Besonders stechen in der Statistik die Monate September, Oktober und November hervor: In diesen drei Monaten nach dem Schulbeginn ereigneten sich 33 - mehr als 50 Prozent - aller Schulwegunfälle in Niederösterreich (Quelle: Statistik Austria).
Der ÖAMTC hat folgende „To-dos“ am Schulweg – was Kinder tun können, um sicher unterwegs zu sein - zusammengestellt.
Eine der häufigsten Ursachen für Schulwegunfälle im Vorjahr war Unachtsamkeit bzw. Ablenkung, knapp 29 Prozent der Unfälle waren darauf zurückzuführen. Dabei spielt auch das Smartphone eine wichtige Rolle – und besonders Kinder sind davon oftmals wie hypnotisiert. Auf dem Weg in die Schule gehört es daher unbedingt in die Schultasche.
Die Ampel gibt wichtige Signale – aber nur ihr Licht zu fixieren, kann gefährlich sein. "Aufgrund ihres noch eingeschränkten Gesichtsfeldes können Kinder seitlich nahende Gefahren nicht gut 'aus den Augenwinkeln' erkennen: Auch bei grüner Ampel sollten sie daher den Pendelblick nach rechts und links anwenden”, rät Seidenberger. “Das Gleiche gilt für Verkehrsinseln – hier sollten Kinder stehen bleiben und in beide Richtungen schauen.”
Sind Kinder in einer kleinen Gruppe unterwegs, gibt ihnen das oftmals eine trügerische Sicherheit. Sie sollten sich allerdings nicht blindlings an ihre Freunde anhängen und "mittrotten", sondern selbst schauen und aufpassen.
Wenn sich andere Verkehrsteilnehmer nicht richtig verhalten und z. B. bei Rot über die Straße gehen, sollten Eltern den Kindern erklären, dass sich diese Personen in Gefahr begeben und die Kinder stolz sein können, das richtige Verhalten zu kennen und anzuwenden.
Um die Sicherheit für Kinder zu erhöhen und die Unfallzahlen zu senken, startete der ÖAMTC mit Unterstützung des ADAC eine Blickuntersuchung. Vier Erwachsene mussten dafür einen festgelegten Schulweg in Wien-Döbling mit Pkw, Lkw oder Rad zurücklegen. Zusätzlich wurden fünf Kinder (6–7 Jahre) und vier ältere Schüler (11 bis 12 Jahre) für die Studie ausgewählt.
Alle Probanden wurden mit einer Eye-Tracking-Brille des Wiener Technologieunternehmens Viewpointsystem ausgestattet. Diese unterstützt Firmen und Behörden europaweit bei Forschung und Analyse. Es ging darum festzuhalten, wohin Kinder, aber auch Erwachsene in gewissen Verkehrssituationen schauen.
Sichthindernisse und Radwege als Problem
Zwischen Jüngeren und Älteren gibt es große Unterschiede. „Kleinere sind generell unsicher und hängen sich an Ältere“, resümiert ÖAMTC-Psychologin Marion Seidenberger. Ältere verhalten sich ähnlich wie Erwachsene. Bei Ampelkreuzungen hätten alle Kinder nur auf das Ampellicht gestarrt, ohne Kontrollblicke und mit zu schnellem „Scheibenwischerblick“.
Höchst problematisch zeigten sich Hindernisse wie Mistkübel, Verkehrszeichen oder Büsche, durch die Pkw- und Lkw-Fahrer Kinder nicht sehen können. Auch bei Garagenausfahrten zeigten die Kinder teils null Reaktion. Zebrastreifen, die Radwege queren, überforderten die Kinder, die meist zu weit von den Gehsteigkanten weg standen. Gleichzeitig schauten Radfahrer kaum auf die Aufstellfläche an den Zebrastreifen. Bewusst waren den Kindern ihre Fehler nicht. Allesamt dachten, sie hätten gut abgeschnitten, so Marion Seidenberger.
„Klar ist: Jeder Unfall muss vermieden werden. Eltern tragen dabei eine große Verantwortung – sie müssen die Herausforderungen auf dem Schulweg ihrer Kinder kennen und ihnen diese geduldig erklären. Manche Gefahren liegen jedoch für Eltern nicht immer klar auf der Hand, sondern eher versteckt in den alterstypischen Eigenschaften” sagt Marion Seidenberger, ÖAMTC-Verkehrspsychologin.
“Kinder ticken anders – sie haben ein kleineres Sichtfeld, eine verlängerte Reaktionszeit und es kann zu Fehlinterpretationen kommen – und folglich zu brenzligen Situationen.” Die Expertin appelliert: “Unbedingt erforderlich sind auch die Rücksichtnahme und das Verständnis anderer Verkehrsteilnehmer. Insbesondere Lenker sind aufgefordert, geduldig zu sein und klare Signale zu geben, um einerseits Missverständnisse und andererseits Stress bei Kindern zu vermeiden.”
Schulwegtraining ist gerade bei jungen Kindern unerlässlich. Nachdem die „Basics“ wie die sicherste Strecke oder umsichtiges Schauen schon festsitzen, ist es sinnvoll, besondere Herausforderungen zu besprechen. “In bestimmten Situationen, wie z. B. beim Blickkontakt mit Lenkern, kann es zu Fehlinterpretationen bei Kindern kommen. Jüngere Kinder erkennen nicht klar, ob sie gesehen wurden. Dunkle Sonnenbrillen des Lenkers oder Helme mit abgedunkeltem Visier erschweren Kindern die Erfassung der Blickrichtung zusätzlich”, warnt die ÖAMTC-Expertin.
Solche Situationen sollte man den Kindern erklären und Lösungen mitgeben, wie z. B. immer abwarten, bis das Fahrzeug tatsächlich stehen geblieben ist. Lenker sollten sich bewusst sein, dass ihre Blicke und Gesten von Kindern nicht eindeutig erkannt werden können. Sie sollten daher immer anhalten, wenn sie bemerken, dass ein Kind die Fahrbahn queren möchte. Auch Blinkzeichen von Autos können Kinder mangels Erfahrung und Überblick leicht fehlinterpretieren, z. B. ein Zufahren zum Parkplatz, auch ein Abbiegen nach einem Zebrastreifen kann große Missverständnisse und ein plötzliches Loslaufen auslösen.
Foto: ÖAMTC
Schulen und Eltern können auf ein umfassendes kostenfreies Angebot der AUVA rund um die Sicherheit am Schulweg zurückgreifen. „Für Volksschulen gibt es z. B. spezielle Schulwegpläne, die Eltern bei der Wahl des sichersten Schulwegs unterstützen. Auch eigene Elternbroschüren mit konkreten Tipps helfen Eltern dabei, das Schulwegtraining optimal zu gestalten“, sagt AUVA-Präventionsexperte Rauch.